Verbündete des Transhumanismus

LOGBUCH XXVI (18. März 2022). Von Susanne Hartfiel

Transhumanisten sind technikbegeisterte und von der Wissenschaft faszinierte Menschen, die sich auf die Fahne geschrieben haben, Welt und Menschheit zu retten, indem sie den Menschen neu erfinden. Sie haben Verbündete und Förderer, die sich selbst nicht als Transhumanisten bezeichnen, aber bestimmte transhumanistische Grundannahmen, Forderungen oder Ziele (vgl. Teil 1 dieser Serie) teilen und politisch durchsetzen wollen. Teil 3 dieser Serie wirft einige Schlaglichter auf manchmal unerwartete ideologische Allianzen des Transhumanismus – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Dazu gehört natürlicherweise die Abtreibungsindustrie und -lobby, die in Kooperation mit Wissenschaftlern und Unternehmern das Töten ungeborener Kinder und die kommerzielle Verwertung ihrer Körperteile organisiert. Sie hebt damit das Instrumentalisierungsverbot in bezug auf den Menschen auf und erfüllt so eine zentrale transhumanistische Forderung. Menschliche Embryonen werden zum Beispiel als Rohstoff für Forschungszwecke verwendet. Nachzulesen ist dies im regelmäßig von der Bundesregierung publizierten Erfahrungsbericht zur Durchführung des Stammzellgesetzes, in dem unter anderem einschlägige Forschungsinstitutionen und Forschungsprojekte aufgelistet sind (vgl. Deutscher Bundestag, 2019). Die Ergebnisse embryonaler Forschung werden in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht. Das Wissenschaftsjournal Nature publizierte kürzlich einen Beitrag, der die Transplantation embryonaler Organe und embryonaler Haut in bzw. auf lebende Ratten und Mäuse beschrieb. Auf den Abbildungen sind Nagetiere mit menschlichem Babyhaar auf dem Rücken zu sehen. Die Mutter hatte den Forschern ihr getötetes Kind zur Verfügung gestellt, die Ethikkommission der Universität Pittsburgh ihre Zustimmung gegeben. Geschaffen wurde ein Ratte-Mensch-Mischwesen (vgl. Agarval et al., 2020). Zellen abgetriebener Kinder finden sich heute in Impfstoffen (vgl. Prentice, 2021; Ärzte für das Leben e. V., 2021), Kosmetika (vgl. Parfitt, 2005; Lindner, 2009, S. 115 ff.), Geschmacksverstärkern (vgl. LifeSiteNews, 2011 & 2012) und vermutlich in einer Vielzahl weiterer Produkte. Der Handel mit den Organen und Körperteilen abgetriebener Kinder floriert (vgl. Hendershott, 2019). Ein Journalist, der die Praxis des Organhandels der amerikanischen Abtreibungsorganisation „Planned Parenthood“ dokumentiert hat, wurde dafür mit Klagen und Schadensersatzforderungen überhäuft (vgl. Kuby, 2020, S. 81 f.).

Zu den Förderern des Transhumanismus gehören auch Bioethiker, die damit argumentieren, daß bestimmte Menschen keine Menschen seien, ihr Leben nicht lebenswert sei oder eine zu geringe Lebensqualität aufweise. Ihr Ziel ist immer das gleiche: Alte, kranke, behinderte oder ungeborene Menschen sollen ungestraft getötet werden dürfen (vgl. Wolfensberger, 1994). In ihren Schriften taucht die alte, dem Transhumanismus zugrundeliegende eugenische Idee auf, nach der Menschen nicht qua Menschsein Menschenwürde und das Recht auf Leben zukommen, sondern erst, wenn sie bestimmte sozial erwünschte Eigenschaften vorweisen, die sie im Verlauf des Lebens auch wieder verlieren können. Manche vertreten die Theorie, daß bestimmte Menschen keine Personen seien, sondern sich lediglich in einem vorpersonalen, halbpersonalen oder nachpersonalen Zustand befänden. Nach den sozialdarwinistischen Massenmorden des Nationalsozialismus war der Theologe Joseph Fletcher (1972) einer der ersten, der dieses Menschenbild propagierte. Die Aberkennung des Personseins kann heute Menschen jeglichen Alters treffen. Park vertritt etwa die Ansicht, daß der Grad des Personseins eines Menschen bestimmt werden könne. Er hat dazu eine Bibliographie mit Werken zahlreicher zeitgenössischer Philosophen und Wissenschaftler zusammengestellt, die Kriterien für das Person- und Menschsein entwickelt haben (vgl. Park 2007 & 2019). Dabei ist klar, daß ein Mensch im angeblich nichtpersonalen bzw. vor-, halb- oder nachpersonalen Zustand noch kein Mensch ist, noch nie ein Mensch war oder kein Mensch mehr ist und deshalb auch nicht als solcher behandelt werden muß. Seit den 1970er Jahren haben Wissenschaftler gefordert, Kinder nicht nur vorgeburtlich, sondern auch nach der Geburt töten zu dürfen, wenn sie unerwünschte Eigenschaften aufweisen (vgl. z. B. Duff & Campbell, 1973; Kuhse & Singer, 1985; Tooley, 1988, S. 83-114; Verhagen & Sauer, 2005; Giubilini & Minerva, 2013; Coyne, 2017). Der passende Euphemismus lautet: postnatale oder nachgeburtliche Abtreibung (englisch: „after-birth abortion“). Einer der prominentesten Vertreter solcher Thesen ist der Bioethiker und Utilitarist Peter Singer. Wie die Transhumanisten lehnt er die kategoriale Sonderstellung des Menschen ab und kommt zum Schluß, daß das Leben bestimmter Tiere schützenswerter sein kann als das Leben behinderter Menschen, die eine inakzeptable Last für ihre Eltern und die Gesellschaft darstellten und denen es an „moralisch relevanten Eigenschaften“ mangle (vgl. Singer, 1975 & 1979; Kuhse & Singer, 1985).

Singer gilt auch als Begründer der modernen Tierrechtsbewegung – einer weiteren natürlichen Verbündeten des Transhumanismus. Tierrechtsbewegung und Tierschutzbewegung sollten nicht verwechselt werden, wenn auch ihre Grenzen manchmal fließend sind: Tierschützern geht es um einen humanen Umgang des Menschen mit der Tierwelt, um Schutz ihres natürlichen Habitats, um artgerechte Tierhaltung u. ä. Sie stellen die Sonderstellung des Menschen innerhalb der Schöpfung nicht in Frage. Für Tierrechtler hingegen existiert kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Tieren und Menschen. Sie definieren den Wert (tierischer und menschlicher) Lebewesen anhand qualitativer Kriterien wie Schmerzempfinden oder Leidensfähigkeit. Ingrid Newkirk, Gründerin von „PETA USA“ (PETA, 2012), formulierte es so: „A rat is a pig is a dog is a boy.“ Eine Höherbewertung des Menschen gegenüber dem Tier wird von Tierrechtlern als „Speziesismus“ verurteilt, der mit Rassismus oder Sexismus vergleichbar sei. Ziele der Tierrechtsorganisationen sind die Gleichstellung von Mensch und Tier, die Abschaffung der Tiernutzung und die Verankerung individuell einklagbarer Rechte für Tiere in den Verfassungen. In mehreren Staaten ist letzteres bereits gelungen (vgl. Smith, 2010). Solchen tierrechtlichen Positionen liegt, ebenso wie den jeweiligen transhumanistischen Positionen, die Vorstellung zugrunde, daß dem Menschen nicht allein aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Menschheitsfamilie oder als Ebenbild Gottes Menschenwürde und Lebensrecht zukomme, sondern er sich gemeinsam mit den Tieren auf einer abgestuften Skala der Wertigkeit befinde, je nachdem, welche „moralisch relevanten Eigenschaften“ er vorzuweisen habe. Die individuellen Rechte eines Menschen (oder Tieres) sollen an dessen „Personalität“ gekoppelt werden. Der Transhumanist Munkittrick (2011a) schreibt: „Rights discourse will shift to personhood instead of common humanity. […] Using a scaled system based on traits like sentience, empathy, self-awareness, tool use, problem solving, social behaviors, language use, and abstract reasoning, animals (including humans) will be granted rights based on varying degrees of personhood. […] When African grey parrots, gorillas, and dolphins have the same rights as a human toddler, a transhuman friendly rights system will be in place“ (Hervorhebungen durch die Autorin).

Das Kindererzeugungsgewerbe ist ebenfalls Förderer des Transhumanismus. Es trennt Sexualität und Reproduktion – ein erklärtes transhumanistisches Ziel. Jede In-Vitro-Fertilisation setzt zugleich das Verbot der Instrumentalisierung des Menschen außer Kraft, denn um ein Kind im Labor zu erzeugen, müssen mehrere Eizellen befruchtet und in den Uterus der Frau transferiert werden. Überzählige Embryonen werden anschließend einer sogenannten „Mehrlingsreduktion“ unterzogen, also getötet. Das überlebende Kind wächst an der Seite der getöteten Geschwister heran, die bis zur Geburt des lebenden Kindes in der Gebärmutter verbleiben. Mehrere Embryonen werden auch für den Fall erzeugt, daß weitere Embryonenübertragungen in die Gebärmutter der Frau nötig sind, weil die erste nicht erfolgreich war. So entstehen überzählige Embryonen, die kryokonserviert (also in flüssigem Stickstoff eingefroren) werden, um für eventuelle spätere Versuche zur Verfügung zu stehen (vgl. Spieker, 2011, S. 88 ff.; Kuby, 2020, S. 91 ff.). Kinder werden hier erzeugt und getötet, um Wünsche von Erwachsenen zu erfüllen. Erfolgt ihre Erzeugung mit Hilfe von Eizellspende und Leihmutterschaft, dann werden auch die Leihmütter instrumentalisiert. Viele von ihnen stehen aufgrund von Armut nicht freiwillig zur Verfügung. Ihre gesundheitlichen Gefährdungen und Grundrechtseinschränkungen sind erheblich (vgl. Sarvanan, 2013; Stop Surrogacy Now, 2019). Jede In-Vitro-Fertilisation hat auch eine eugenische Komponente, denn Präimplementationsdiagnostik und Pränataldiagnostik werden routinemäßig eingesetzt, um Krankheiten und Behinderungen möglichst frühzeitig diagnostizieren und Kinder mit unerwünschter genetischer Ausstattung töten zu können.

Weitere natürliche Verbündeten des Transhumanismus sind Gendertheoretiker. Sie sehen das biologische Geschlecht – wie die Transhumanisten – als unzumutbare Einschränkung an und bestreiten, daß es zwei biologische Geschlechter gibt. Jeder Mensch könne sein eigenes individuelles Geschlecht aus beliebig vielen Möglichkeiten auswählen und mit Hilfe hormoneller und chirurgischer Methoden nicht nur sein äußeres Erscheinungsbild, sondern sein biologisches Geschlecht als solches verändern. Die Gendertheoretiker werden von Bioethikern und LGBT-Lobbyisten flankiert, die ein Recht Minderjähriger auf geschlechtsverändernde Maßnahmen auch gegen den Willen der Eltern proklamieren (vgl. z. B. Priest, 2019; Dubin et al., 2019; Iglyo, Dentons & Thomson Reuters Foundation, 2019, S. 12-17), und Ärzten und anderem medizinischen Personal das Recht absprechen, aus Gewissensgründen nicht an solchen medizinischen Eingriffen mitwirken zu müssen, die sie für schädlich und/oder unmoralisch halten (vgl. z. B. Card, 2007; Stahl & Emanuel, 2017; Rhodes, 2019, S. 496 ff.; Schuklenk, 2019).

Radikale LGBT-Aktivisten und ihre Unterstützer fordern darüber hinaus seit geraumer Zeit neue Familienkonzepte mit Mehrelternfamilien und den Zugang von Regenbogenfamilien zu allen reproduktionsmedizinischen Maßnahmen inklusive Eizellspende und Leihmutterschaft (vgl. z. B. Men Having Babies, 2016, LSVD, 2020). Die Verwirklichung solcher Wünsche setzt die Realisierung diverser Grundforderungen des Transhumanismus voraus: die Trennung von Sexualität und Reproduktion, die Aufhebung des Instrumentalisierungsverbotes in bezug auf den Menschen (durch Laborzeugung und selektive Tötung von Kindern, durch Kauf von Leihmüttern und Handel mit Kindern) und die umfassende rechtliche Neudefinition von Ehe und Familie, um beliebigen Beziehungskonstellationen nicht miteinander verwandter Menschen den rechtlichen Status einer „Familie“ verleihen zu können.

Der Transhumanist Munkittrick (2011b) faßt die beschriebenen Allianzen zusammen und ruft diejenigen zum gemeinsamen Kampf auf, die sich unter dem Motto „my body, my choice“ für die grenzenlose individuelle Selbstbestimmung in bezug auf den eigenen Körper aussprechen: „As the politics of the body continue to generate controversy, it is important those on the side of choice and freedom of bodily-determination recognize where their allies are. Transhumanists and liberal bioethicists, yes, but also feminists, marriage rights proponents, sex worker advocates, those who would end the drug war, libertarians, and the LGBT community. These groups are fast coming to the conclusion that it is important we cherish our basic biological freedoms and protect our somatic rights.”



Literatur:


Agarval, Yash; Beatty, Cole; Ho, Sara et al. (3. September 2020): Development of humanized mouse and rat models with full-thickness human skin and autologous immune cells. In: Sci Rep, 10 (14598); doi:10.1038/s41598-020-71548-z.

Ärzte für das Leben e.V. (2021): Impfstoffe und Abtreibung. https://aerzte-fuer-das-leben.de/fachinformationen/schwangerschaftsabbruch-abtreibung/impfstoffe-und-abtreibung/

Card, Robert F. (2007): Conscientious Objection and Emergency Contraception. In: The American Journal of Bioethics, 7 (6), S. 8-14; doi:10.1080/15265160701347239.

Coyne, Jerry (13. July 2017): Should one be allowed to euthanize severely deformed or doomed newborns? Siehe https://whyevolutionistrue.wordpress.com/2017/07/13/should-one-be-allowed-to-euthanize-severely-deformed-or-doomed-newborns/

Deutscher Bundestag (6. Mai 2019): Achter Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Durchführung des Stammzellgesetzes. In: Drucksache 19/10060.

Dubin, Samuel; Lane, Megan; Morrison, Shane; Radix, Asa; Belkind, Uri; Vercler, Christian & Inwards-Breland, David (31. December 2019): Medically assisted gender affirmation: when children and parents disagree. In: Journal of Medical Ethics; doi:10.1136/medethics-2019-105567.

Duff, Raymond S. & Campbell, A. G. (1973): Moral and Ethical Dilemmas in the Special-Care Nursery. In: N Engl J Med 1973, 289, S. 890-894; doi:10.1056/NEJM197310252891705.


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Giubilini, Albert & Minerva, Francesca (2013): After-birth abortion: why should the baby live? In: Journal of Medical Ethics, 39, S. 261-263.

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Iglyo, Dentons & Thomson Reuters Foundation (19. November 2019): Only Adults? Good Practices in Legal Gender Recognition for Youth. Siehe https://www.iglyo.com/wp-content/uploads/2019/11/IGLYO_v3-1.pdf

Kuby, Gabriele (2020): Die verlassene Generation. Kißlegg, fe-medienverlags GmbH.

Kuhse, Helga & Singer, Peter (1985): Should the Baby live? The Problem of Handicapped Infants. Oxford University Press.


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Munkittrick, Kyle (16. July 2011a): When Will We Be Transhuman? Seven Conditions for Attaining Transhumanism. Siehe https://www.discovermagazine.com/mind/when-will-we-be-transhuman-seven-conditions-for-attaining-transhumanism

Munkittrick, Kyle (20. June 2011b): Your Body, Your Choice: Fight for Your Somatic Rights. Siehe https://www.discovermagazine.com/technology/your-body-your-choice-fight-for-your-somatic-rights

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Parfitt, Tom (17. April 2005): Beauty salons fuel trade in aborted babies. In: The Guardian. Siehe https://www.theguardian.com/world/2005/apr/17/ukraine.russia

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Tooley, Michael (1988): In Defense of Abortion and Infanticide. In: Goodman, Michael, F. (Hrsg.): What is a Person? (S. 83-114). Clifton, New Jersey, The Humana Press Inc.

Verhagen, Eduard & Sauer, Pieter J. J. (2005): The Groningen Protocol – Euthanasia in Severely Ill Newborns. In: N Engl J Med, 352, S. 959-962; doi:10.1056/NEJMp058026.

Wolfensberger, Wolf (1994d): Let’s hang up “quality of life” as a hopeless term. In: Goode, David (Hrsg.): Quality of life for persons with disabilities: International perspectives and issues (S. 285-321). Cambridge, Brookline Books.



Abbildung oben: Mischwesen-Paar in der Turmhalle der Kilianskirche von Heilbronn, © Peter Schmelzle / wikimiedia commons

 

 

 

 

 

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